Jesus reloaded

Oft brauchst du gar nicht so viele Grenzen zu überqueren und trotzdem ist es da wo du ankommst ganz anders.

Als Tiroler glaubst du ja immer, dass du das Brauchtum für dich gepachtet hast. Jenseits unserer Berge wähnt man oft kulturfreie Landschaften, in denen Menschen ohne jegliches Traditionsbewusstsein leben. Das meinst du als Tiroler gar nicht böse, aber irgendwie saugst du in unserer Bergwelt ohne Weitblick diese Weltsicht schon mit der Muttermilch auf.

Generell tut man sich bei uns im Westen oft schwer damit, sich den Osten Österreichs akkurat vorzustellen. Alles was du als Tiroler vom Osten kennst sind übertriebene ATV-Dokumentationen, und wenn du Glück hast, kannst du dich noch an die Wienwoche in der vierten Klasse Hauptschule erinnern. Da ist der Kulturschock umso größer, wenn du dann plötzlich mitten drinnen bist in einem Land, in dem die Leute tatsächlich so reden wie im ATV.

Genau genommen befinden wir uns rund eine Stunde nördlich von Graz in “Fladnitz an der Teichalm”. Der Ort ist gerade weit genug von seiner Landeshauptstadt entfernt, um nicht als Speckgürtel der Grazer High-Society zu enden. Schön genug für die High-Society wär es hier allzumal, denn eingebettet in sattgrüne Hügel schaut es in Fladnitz ein bisschen so aus wie in einem Rosamunde Pilcher Film.

Wir haben Fladnitz besucht, weil hier alljährlich etwas ganz besonderes stattfindet: der Osterweckruf. Für diesen Weckruf treffen sich 40 Fladnitzer, um den anderen 1.760 Fladnitzern mitten in der Nacht die Auferstehung von Jesus näherzubringen. Und eines das sage ich dir: Nichts bringt dir eine Auferstehung näher, als wenn um vier Uhr in der Nacht eine Musikkapelle vor deinem Fenster spielt.

Vier Musikanten der Musikkapelle Pfunds durften investigativ bei diesem Spektakel mitwirken, und soviel sei bereits vorweggenommen: Unser Neujahrsspielen ist ein Lärcherlschaß dagegen.

Als Fladnitzer Musikant gibt man alles für die Tradition des Osterweckrufs und Tradition ist es eben auch, dass der Weckruf bereits um halb vier in der Nacht beginnt. Dieses Jahr kam erschwerend hinzu, dass die Auferstehung von Jesus genau mit der Umstellung zur Sommerzeit zusammenfiel und der Osterweckruf daher auf halb drei vorverlegt wurde. Aber was will man machen: man kann sie sich nicht aussuchen, die Sommerzeit … und die Auferstehung.

Du willst als Musikant so einen Termin nicht verschlafen und du willst den Wecker natürlich auch nicht aus Versehen in die falsche Richtung stellen. Und weil man das alles nicht will, muss man konsequent sein und am besten gar nicht ins Bett gehen. Man muss eben Opfer bringen, schon rein weil es thematisch so gut zu Ostern passt. Wenn du in Fladnitz die ganze Nacht auf den Kopf hauen willst dann ist der “Weichinger” deine erste Wahl. Der “Weichinger” ist eine interessante Mischung aus Café, Pizzeria, Videothek, Casino und Hafenkneipe. Hier wird dir nicht langweilig, schon gar nicht wenn du dich mit den Fladnitzer Jungmusikanten auf den Weckruf vorbereitest. Diese Vorbereitung besteht im Groben und Ganzen darin, dass du dir mit Hochprozentigem das Immunsystem dahingehend konditionierst, dass dir der Osterweckruf bei 0 Grad Celsius nichts mehr anhaben kann. Dabei gilt es, genau den richtigen Punkt zu treffen, weil wenn du zu wenig trinkst frieren dir die Finger am Instrument an und wenn du aber zu viel trinkst, wiederholt sich das “Debakel von 2013”. Generell hören wir an diesem Abend viel vom “Debakel von 2013”, ohne je genaue Details zu erfahren. Was hat es mit diesem dunklen Kapitel in der Geschichte des Osterweckrufs auf sich? Wir werden es wohl nie genau erfahren.

Um halb drei in der Nacht geht es schließlich los. Dank Erdbeerschnaps haben wir unser Immunsystem inzwischen auf “Polarnacht” hochkonditioniert. Da bist du als Musikant froh, dass dir der eine oder andere Marsch im Marschbuch bekannt vorkommt, weil irgendwie wirkt sich so ein gutes Immunsystem dann doch auf die Kunst des Notenlesens aus. Bereits nach wenigen marschierten Metern haben wir dann spätestens das Gefühl, dazu zu gehören. Da ist es dann egal, dass wir mit unserem Dialekt nicht immer verstanden werden. Musik ist eben doch Weltsprache und überwindet Sprachbarrieren. Generell werden wir sehr freundlich in der Kapelle aufgenommen, wir fühlen uns wohl … wenn auch etwas durchgefroren. Die Fladnitzer Bevölkerung tut ihr übriges, begrüßt uns mit Selbstgebranntem und stellt sicher, dass unser Immunsystem bis zum Schluss optimal gefördert wird. Und weil du mit so einem Immunsystem ungern durchs Dunkle marschierst, begleitet uns die Freiwillige Feuerwehr Fladnitz mit Feuerwehrauto und Scheinwerfer. Auch kulinarisch werden wir mit Suppe und Frühstück bestens versorgt, und das brauchst du auch, wenn du bis 11 Uhr vormittags durchhalten willst. Weil erst dann dürfen wir erschöpft ins Bett fallen.

Wir danken an dieser Stelle der Trachtenkapelle Fladnitz für die einzigartige Möglichkeit dieser Tradition beizuwohnen. Außerdem ein Dank an die Familie Zünterl für Kost und Logie.


Als dann,

eure Musikappelle Pfunds

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